Zusammenfassung:

Während der Berufsorientierung geht es im Kern um einen Abgleich sozialer und persönlicher Kompetenzen eines Jugendlichen mit denjenigen, die für das Erlernen eines Ausbildungsberufes notwendig sind. Hierbei nimmt das Erkundungspraktikum eine zentrale Stellung ein.

Schlagwörter: Berufsorientierung, Ausbildungsreife, Praktika, Talent Management, MINT-Berufe, Erkundungspraktikum, Strategieimplementierung, Humankapital

Berufsorientierung ist definiert als „ein Prozess, die spätere Berufswahl durch Informationen über Berufsfelder und Berufe, ihre Bedeutung und ihre Anforderungen zu unterstützen“.

Bei der Analyse dieses Prozesses im Rahmen von Schüler- und Unternehmensbefragungen in diesem Jahr sind mir mehrere Dinge aufgefallen, die ich im Folgenden darlegen werde und auch in der Infografik zusammengefasst habe.

Die Berufsorientierung in Deutschland ist mangelhaft

Zu diesem Ergebnis kommt die DIHK-Online-Unternehmensbefragung dieses Jahres. So ist dort zu lesen: „Die mangelnde Ausbildungsreife vieler Schulabgänger ist für die meisten dieser Betriebe (75 Prozent) das Ausbildungshemmnis Nr. 1“. Die unklaren Berufsvorstellungen vieler Schulabgänger sind auch – nicht nur – auf eine mässig gute, häufig nur punktuelle Berufsorientierung in den Schulen zurückzuführen. Gerade im G8-Zug zieht ein Grossteil der Schülerinnen und Schüler ihr Pensum nur noch durch – ohne Zeit für Hobbies und persönliche Neigungen. Wo soll die Zeit neben Nachmittagsunterricht und Nachhilfe auch herkommen? Dieses Defizit drückt sich auch in dem dramatischen Rückgang an Lieblingsfächern aus.

Eltern und deren Berufe haben eine wichtige Vorbildfunktion

In unserer letztjährigen Studie sind wir sehr speziell auch auf MINT-Berufe eingegangen. Eines der Ergebnisse: Zeigen Jugendliche im Alter von 15 Jahren in MINT-Fächern Interesse und gute Leistungen und schätzen ihre Leistungsfähigkeit als gut ein, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie später ein MINT-Studium ergreifen. Da die massgebliche Lebensphase für eine Entscheidung pro oder contra MINT zwischen den ersten Lebensjahren und dem 15. Lebensjahr liegt, muss das Interesse für MINT in der Vorschule, im Kindergarten und in den ersten Schuljahren geweckt und gefördert werden.

Eltern spielen hierbei eine ganz wesentliche Rolle! Sie sind nach Aussage der Schülerinnen und Schüler wichtige Bezugspersonen und Vorbilder (auch wenn dieser Begriff häufig als altmodisch dargestellt wird!). Speziell für IT-Berufe haben wir festgestellt, dass der Beruf der Mutter den Berufswunsch des Kindes massgeblich beeinflusst. Bei den Vätern ist dieser Einfluss zwar etwas schwächer ausgeprägt, nach wie vor aber als sehr gross zu bezeichnen. Dies bedeutet: Unternehmen sind gut beraten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in IT-Berufen dazu anzuhalten, ihre Kinder ins Unternehmen einzuladen, ihnen ihren Arbeitsplatz zu zeigen, in Praktika oder Schülerarbeiten einzubinden und sie für die Materie zu begeistern.

Unsere Untersuchungen kommen zum eindeutigen Ergebnis, dass solche Massnahmen bei Weitem besser dazu dienen, Jugendliche für IT-Berufe zu gewinnen als beispielsweise Girls Days oder Boys Days.

Was ich für die IT-Berufe dargelegt habe gilt mit Abstrichen auch für Mathematik und für technische Berufe. Hierzu haben wir in diesem Jahr besonders die technischen Berufe untersucht. V.a. Mädchen werden in der Schule hierbei nicht richtig abgeholt; nur 50 Prozent empfinden den Technikunterricht – so er überhaupt stattfindet! – als spannend.

Das Erkundungspraktikum ist auf dem Vormarsch

Dies gilt auch für Deutschland. Gemäss der oben bereits zitierten DIHK-Befragung ist der Anteil der Betriebe, die Praktika anbieten, „deutlich von 28 auf 38 Prozent gestiegen“. Die Benchmark setzt jedoch die Schweiz. So absolvierten 98,8 Prozent der Schweizer Schülerinnen und Schüler, die bereits einen Ausbildungsvertrag vorliegen haben, vorab im Lehrbetrieb ein Erkundungspraktikum. 73,8 Prozent der in der Schweiz Befragten absolvierten zudem ein Erkundungspraktikum in einem anderen Betrieb im selben Beruf. Stolze 84,8 Prozent antworteten auf die Frage „Ist der Lehrbetrieb das Wunschunternehmen?“ in der Schweiz dann auch mit „ja“.

Hier müssen die Ausbildungsbetriebe in Deutschland also weiter dran bleiben. Gerade in Zeiten, in denen persönliche Neigungen und Interessen wegen mangelhafter Berufsorientierung lange unentdeckt bleiben, und wo es sich wohl zu jedermann herumgesprochen hat, dass Schulnoten kein guter Prädiktor für Ausbildungserfolg sind, ist es immens wichtig, dass diese Praktika ausgebaut werden. Bereits in der Pressemeldung zur DACH Studie 2013 wurde ich zitiert mit der Aussage: „Die Bedeutung des Erkundungspraktikums ist für alle Beteiligten immens hoch. Die Jugendlichen erhalten dadurch einen guten Einblick in den Ausbildungsbetrieb und in die Inhalte des jeweiligen Ausbildungsberufes. Die Betriebe lernen sowohl Fach- als auch Sozialkompetenzen der jungen Menschen sehr gut kennen“.

Die Rückmeldungen der Jugendlichen, die uns zum Nutzen des Erkundungspraktikums gegeben wurden, sprechen denn auch eine eindeutige Sprache. Die wichtigsten waren:

  • Ich hatte die Möglichkeit, einen Auszubildenden während mehrerer Tage zu begleiten, was mir einen guten Einblick in die Arbeit verschaffte.
  • Ich gewann einen Eindruck über schulische Anforderungen, welche an Auszubildende gestellt werden, um die Ausbildung erfolgreich abschliessen zu können.
  • Ich gewann einen Eindruck darüber, welche Kompetenzen ich während der Ausbildung gut nutzen kann.

"Infografik:

Von: Infografik – STRIMgroup – CyTRAP Ausbildungplatzsuche in Deutschland

Links zu den obigen Grafiken – einfach anklicken

1, 2, 3, 4 Mayer, Volker (2013). DACH Studie 2013: Smart, Smartphone, Schnupperlehre – Wege zum Erfolg.

2, 4  Gattiker, E. Urs (2013). CyTRAP BlogRank – die besten Karriereblogs.

Fazit

Die für mich interessanteste Erkenntnis gleich vorab: Was viele Ausbildungsbetriebe während der letzten Jahre, als es noch viele Bewerberinnen und Bewerber auf einen Ausbildungsplatz gab, an Distanz zu den Jugendlichen aufgebaut haben – ich nenne nur: ausschliessliche Zulassung von Online-Bewerbungen, etliche Auswahlverfahren im Rahmen der Negativselektion, sehr gute Schulnoten, keine Direktansprache der Ausbildungsverantwortlichen bis zum persönlichen Gespräch im Rahmen der Positivselektion – wird allmählich wieder abgebaut. Der „Markt“ hat sich gedreht! Die Anzahl an Bewerbungen pro Einstellung sinkt, Ausbildungsbetriebe stellen sich auch auf schwächere Schulabsolventen ein und unterstützen mit Nachhilfeprogrammen, EQ-Maßnahmen und sonstigen Unterstützungsleistungen.

Ein sehr wichtiger Ausgangspunkt in persönlichen Gesprächen sind folgende Fragen:

  • Was kann die Bewerberin/der Bewerber?
  • Wo liegen die Stärken?
  • Wo könnte ich sie/ihn im Unternehmen einsetzen?

Hierbei kann die Rolle des Erkundungspraktikums nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Weitere Ressourcen zum Thema

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Dr. Volker Mayer - STRIMgroup
Der Autor: Diesen Beitrag hat Volker Mayer geschrieben, ein Strategie und Human Resource Management Experte, Wissenschaftler an The Conference Board und CEO der STRIMgroup AG. Volker schreibt über Strategische Planung und Strategieimplementierung unter besonderer Berücksichtigung von Talent Management, Führung sowie weiterer Ausprägungen von Humankapital.
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